Suizid-Meldungen und der Werther- oder Papageno-Effekt

Suizid-Meldungen in der Zeitung und der daraus resultierende Werther- oder Papageno-Effekt 

Die Hauptaufgabe von Zeitungen besteht darin, die Leser objektiv über das aktuelle Zeitgeschehen zu informieren. Dabei reicht die Themenpalette von Politik und Wirtschaft über Kunst, Kultur und Sport bis hin zu gesellschaftlichen Ereignissen.

Selbstverständlich gibt es dabei nicht immer nur Positives zu berichten, aber insbesondere dann, wenn es um Tragisches geht oder das Ereignis mit einer prominenten Person verbunden ist, kommt den Medienberichten eine besondere Bedeutung zu.

Anzeige

Diese besondere Bedeutung von Botschaften in Medien lässt sich sehr gut mit dem Thema Selbstmord erläutern und in diesem Zusammenhang spielen auch die Stichworte Werther-Effekt und Papageno-Effekt eine Rolle.  

Suizid-Meldungen in der Zeitung und der Werther-Effekt als Folge

Die Anzahl an Selbstmorden ist jedes Jahr etwa doppelt so hoch wie die Anzahl der Verkehrstoten. Dennoch finden sich in Zeitungen häufiger Berichte über Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang als Meldungen über Selbstmorde. Dies erklärt sich damit, dass die Medien heute über Suizide sehr viel zurückhaltender berichten, als dies vor nicht allzu langer Zeit noch der Fall war. Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist der sogenannte Werther-Effekt.

Studien und Untersuchungen haben gezeigt, dass Berichte über Selbstmorde weitere Selbstmorde auslösen können, wobei es sich dann vielfach um Nachahmungs- und Imitationstaten handelt. Eine Person, die psychisch labil ist und den Selbstmord als einen möglichen Ausweg sieht, kann durch entsprechende Berichte in der Zeitung in ihrer Entscheidung bestärkt werden.

Die Bezeichnung Werther-Effekt geht dabei übrigens auf Goethes “Die Leiden des jungen Werther” zurück, denn nachdem dieses Werk erschienen war, soll es eine regelrechte Serie von Selbstmorden junger Männer nach der im Werk beschriebenen Methode gegeben haben. Als Gegenargument wurde häufig angeführt, dass in Folge einer Berichterstattung nur jene Selbstmorde ausgelöst wurden, die langfristig gesehen ohnehin eingetreten wären. Dieses Argument konnte durch Studien allerdings widerlegt werden, denn es hat sich gezeigt, dass die Anzahl von Selbstmorden regelmäßig unmittelbar nach einer entsprechenden Berichterstattung deutlich ansteigt.  

Nun gibt es eine Reihe von Faktoren, die den Werther-Effekt zusätzlich verstärken. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn dem Ereignis ein hohes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wird, etwa weil es sich um einen Prominenten handelt, weil der Bericht mit spektakulärer Überschrift in großen Buchstaben auf der Titelseite steht oder weil sehr ausführlich über die Person, die Umstände und die Methode berichtet wird. Gleiches gilt, wenn die Person heroisiert oder der Freitod romantisiert wird.

Ebenfalls bedenklich kann es sein, wenn die Meldung in einfach erklärter und auf nur einen Grund reduzierter Form erfolgt, beispielsweise Selbstmord wegen Scheidung, Selbstmord wegen Schulden oder Selbstmord aus Liebe. Eine solche Reduzierung auf einen einfachen, nachvollziehbaren Grund kann den entscheidenden Anstoß geben und damit eine Nachahmung begünstigen. 

Der umgekehrte Fall: der Papageno-Effekt als Resultat von Suizid-Meldungen

Berichte können aber auch in umgekehrter Richtung wirken, also dazu führen, dass Selbstmorde verhindert werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ausführlich über eine erfolgreiche Krisenbewältigung berichtet wird, also aufgezeigt wird, wie Menschen in schwierigen Situationen erfolgreich einen neuen Weg und eine Lösung gefunden haben.

Solche Reaktionen werden als Papageno-Effekt bezeichnet, abgeleitet von Mozarts Zauberflöte. In der Oper führt der Einfluss von drei Jungen dazu, dass Papageno von seinem Vorhaben, sich das Leben zu nehmen, ablässt.    

Was bedeutet das nun für die Presse?

In einigen Ländern wurden bereits Leitfäden entwickelt, wie über Selbstmorde berichtet werden sollte. Solche Leitfäden gibt es beispielsweise in Österreich und in Japan und die Kernaussage der Leitfäden ist, dass eine sensationslüsterne Berichterstattung Nachahmungen begünstigen, während sich die konstruktive Darstellung von positiver Krisenbewältigung präventiv auswirken kann.

Zusammengefasst lässt sich somit festhalten, dass Berichte über Selbstmorde auf der Titelseite ebenso vermieden werden sollten wie spektakuläre Überschriften mit entsprechendem Schreibstil. Zudem sollte auf vereinfachende Erklärungen verzichtet werden, denn diese könnten bei labilen Personen den Eindruck erwecken, dass eine ähnliche Situation letztlich nur diesen einen Ausweg zulässt.

Im Gegenzug sollte der Nachahmungseffekt in der Art genutzt werden, dass Betroffenen mögliche Lösungen und Ansätze aufgezeigt werden. Ein Beispiel hierfür sind Reportagen oder Interviews mit Personen, die schwere Krisen erfolgreich gemeistert haben. Dadurch wird suizidgefährdeten Personen vermittelt, dass es Anlaufstellen gibt, die helfen können.

Wichtig hierbei ist aber, das an sich komplexe Thema verständlich und mitfühlend aufzubereiten, denn Betroffenen ist weder mit Mitleid noch mit einem erhobenen Zeigefinger oder der Botschaft, sie sollen sich nicht so anstellen, geholfen. Zudem können die Medien dazu beitragen, ein öffentliches Bewusststein für die Problematik zu schaffen. Suizidgedanken, meist einhergehend mit Depressionen, sind Warnsignale, hinter denen eine seelische Krankheit steckt. Diese kann behandelt werden, wenn sie erkannt und wenn den Betroffenen mit dem nötigen Respekt und Ernst begegnet wird.

Weiterführende Pressethemen, Tageszeitungen und Journalismus:

Thema: Suizid-Meldungen in der Zeitung und der daraus resultierende Werther- oder Papageno-Effekt

-

Übersicht:
Fachartikel
Verzeichnis
Über uns


medien presse99

Autoren Profil:
FB/Twitter

Ein Gedanke zu „Suizid-Meldungen und der Werther- oder Papageno-Effekt“

  1. Die Themen Suizid und Selbstmord müssen in der Öffentlichkeit viel mehr und viel besser Aufgeklärt werden.
    Es ist immer noch ein zu großes Tabuthema, obwohl wir im Jahr 2016 leben.

Kommentar verfassen