Polarisierung in den Medien
Psychologisch lässt sich die Polarisierung der Gesellschaft durch Gruppendynamiken erklären. Aber auch die Medien tragen dazu bei, dass sich immer extremere Positionen festigen. Dabei hat der Journalismus die Mittel, um anstelle einer polarisierenden Berichterstattung konstruktive Diskussionen anzuregen.
Nachwehen der Corona-Pandemie, Klimawandel, Migration, Rechtsruck, Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt:
Wir sehen uns mit zahlreichen Krisen konfrontiert. Gleichzeitig ist regelmäßig davon die Rede, dass diese Themen die Gesellschaft spalten. Sie polarisieren.
Studien kommen aber zu einem anderen Ergebnis. Demnach sind sich die Deutschen in vielen zentralen Fragen ziemlich einig. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung oder persönlichem Hintergrund macht sich die Mehrheit wegen des Klimawandels Sorgen, sieht in Migration eine kulturelle Bereicherung und ist gegen das Gendern.
Es gibt zwar einzelne Punkte, über die gestritten wird. Eine grundsätzliche Aufteilung in verschiedene Lager gibt es aber nicht.
Woher kommt also der Eindruck einer stetig wachsenden Polarisierung der Gesellschaft? Und welche Rolle spielen die Medien dabei?
Inhalt
Gruppendynamik: Polarisierung als Folge der sozialen Zugehörigkeit
Die Sozialpsychologie definiert Polarisierung als die Tendenz, dass sich in einer Gruppe eine gemeinsame Meinung bildet, die extremer ist, als es die Meinungen der einzelnen Gruppenmitglieder zunächst waren. Dafür gibt es zwei Erklärungen.
Zum einen führen soziale Vergleiche und die Zustimmung zu Gruppennormen zu Priorisierung.
Ob Freundeskreis, Nachbarschaft, Verein oder Partei:
Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist ein menschliches Grundbedürfnis. Deshalb sind wir eher damit einverstanden, was wir für die Normen unserer Gruppe halten, selbst wenn wir eigentlich eine andere Meinung hatten.
Durch den Wunsch, uns von anderen Gruppen abzugrenzen und die eigene Gruppenzugehörigkeit zu betonen, wird die Polarisierung noch verstärkt. Im Ergebnis akzeptieren wir auch extreme Positionen, während wir die Ansichten anderer Gruppen ablehnen.
Zum anderen hören wir in unserer Gruppe regelmäßig Argumente, die unsere Meinung stützen. Das verstärkt unsere Haltung. Denn wir filtern die Informationen heraus, die zu unseren Ansichten passen, und blenden andere Informationen aus.
Wer zum Beispiel für eine offene Flüchtlingspolitik ist, liest eher Berichte über den wirtschaftlichen Nutzen durch zugewanderte Arbeitskräfte als Statistiken über Kriminalität infolge von Zuwanderung.
Dazu kommt ein emotionaler Aspekt. So entwickeln wir positive Gefühle für unsere Gruppe und negative Gefühle für Gruppen mit anderen Haltungen. Dabei wächst unsere Verbindung stetig, während sich die Ablehnung der anderen Gruppen bis zu einem regelrechten Hass verschärfen kann.
Schon einzelne Schlagwörter können dann ausreichen, um so starke Emotionen auszulösen, dass sachliche Debatten mit Fakten und rationalen Argumenten unmöglich werden.
Insgesamt schwächt Polarisierung den sozialen Zusammenhalt. Das passierte zum Beispiel während Corona, als es beim Tragen einer Maske und der Impfung nicht mehr um die eigene Gesundheitsvorsorge ging, sondern ein politisches Statement daraus wurde.
Eine Entwicklung, die das Gefühl von „wir gegen die“ hervorruft und Kompromisse verhindert, kann sogar die Demokratie ins Wanken bringen.
Polarisierung in den Medien als Geschäftsmodell
Spektakuläre Schlagzeilen, dramatische Storys und klare Feindbilder erhöhen den Nachrichtenwert. Je extremer eine Position ist, desto mehr Aufmerksamkeit gewinnt sie. Denn wir reagieren hauptsächlich auf emotionale und moralische Inhalte.
Evolutionspsychologisch war es sinnvoll, dass der Mensch Gefahren schnell erkennen und Informationen in simple Kategorien wie „gut“ und „schlecht“ einordnen konnte.
Das sicherte sein Überleben. Heute beschert diese Taktik hohe Verkaufszahlen und viele Klicks.
Polarisierung wird oft mit den Filterblasen in den sozialen Medien begründet. Weil der Algorithmus uns das zeigt, was wir sowieso denken und glauben, wird unsere Position nur bestätigt. Zwar treffen wir in den sozialen Medien auch auf komplett gegensätzliche Ansichten.
Aber genau das verstärkt die Polarisierung noch. Auch das hängt mit unserer sozialen Identität zusammen. Denn wir nehmen es persönlich, wenn unsere Überzeugungen im digitalen Raum infragegestellt werden.
Also neigen wir dazu, uns noch gezielter und radikaler vom anderen Lager abzugrenzen.
Medien können demnach ihren Beitrag zur Polarisierung leisten. Umstrittene Parteien, Personen, Aussagen oder Aktionen werden auch deshalb so groß, weil die Medien ihnen eine Bühne geben. Dabei sind es meist die Minderheiten, die die Diskussion bestimmen.
Auf X (ehem. Twitter) zum Beispiel stammen 97 Prozent der politischen Inhalte von gerade einmal zehn Prozent der Nutzer, die am stärksten polarisieren. Allein das Wort „Polarisierung“ hat in den deutschen Printmedien in den vergangenen Jahren einen sprunghaften Anstieg verzeichnet.
So entsteht eine Spirale, bei der die Polarisierung in den Medien auf die Gesellschaft übergeht und immer weitere Kreise zieht.
Kurzfristig profitieren die Medien davon durch höhere Verkaufszahlen und mehr Klicks. Kommt es aber zu einer nachhaltigen Spaltung der Gesellschaft, spielt das vor allem den Rechtspopulisten in die Karten.
Doch zunehmend extreme Regierungen können auch die Meinungs- und die Pressefreiheit in Gefahr bringen. Was also können und sollten Journalisten tun, um dem etwas entgegenzusetzen?
Journalistische Mittel gegen Polarisierung
Der Journalismus kann Polarisierung vermeiden oder sie zumindest einschränken, indem er sich auf seine Kernkompetenzen besinnt.
Denn er hat dafür genug journalistische Mittel:
Hintergründe recherchieren
Die Mehrheitsmeinung findet sich seltener in der aktuellen Berichterstattung, weil ihr Nachrichtenwert geringer ist. Doch gerade dann macht es Sinn, über die Zusammenhänge und Hintergründe zu berichten.
Statt darüber zu diskutieren, ob und in welchem Umfang Klimaschutz notwendig ist, kann letztlich jedes Ressort vermitteln, wie sich der Klimawandel bemerkbar macht.
Strukturelle Probleme zu recherchieren, ist aufwändiger. Aber polarisierende Ansichten bekommen auf diese Weise keine direkte Stimme.
Faktenbasiert berichten
Polarisierung findet weniger Nährboden, wenn Journalismus seriös und sachlich berichtet, statt reißerisch um Aufmerksamkeit zu buhlen, ins Emotionale abzudriften oder Menschen in Gruppen einzuteilen („die Corona-Leugner“, „der AfD-Wähler“). Auch ein objektiver Beitrag kann spannend sein.
Wichtig ist außerdem, eine klare Grenze zwischen Fakten und Meinungen zu ziehen.
Vor allem nachdem Faktenchecks in den sozialen Medien abgeschafft wurden, ist es unumgänglich, Aussagen und Tatsachen journalistisch zu prüfen und zu kommunizieren.
Raum für Debatten schaffen
Gerade in schwierigen und ungewissen Zeiten wächst der Wunsch, dass unsere Unsicherheiten, Sorgen und Bedürfnisse gehört und ernst genommen werden. Statt den Fokus auf politische Entscheidungen von oben zu legen, können die Medien gezielt die Ansicht der Bürger thematisieren.
So entsteht ein Raum, in dem Menschen miteinander sprechen und ihre Meinungen austauschen können.
Dazu gehört auch, verschiedene Blickwinkel darzustellen. Sich von dem vereinfachten „Wir gegen die“ zu lösen, reduziert Polarisierung. Das bedeutet aber nicht, dass alle Positionen den gleichen Raum bekommen müssen.
Bei einer eindeutigen Faktenlage hat die Mehrheitsmeinung Vorrang. Aus der Forschung ist aber bekannt, dass die Meinung gemäßigter ausfällt, wenn wir uns mit widersprüchlichen Informationen befassen.
Gemeinsamkeiten fördern
Polarisierung kann auch eine Folge davon sein, dass es sehr viele verschiedene Meinungen gibt. Abweichende Meinungen gehören zur Demokratie dazu und haben hier natürlich ihre Berechtigung.
Der Journalismus sollte aber nicht die Unterschiede in den Vordergrund stellen, sondern herausarbeiten, was Menschen trotz der Meinungsverschiedenheiten verbindet.
Das können zum Beispiel gemeinsame Projekte oder Initiativen sein, bei denen politische, religiöse oder soziale Ansichten außen vor bleiben. Solche Themen stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft und begünstigen einen konstruktiven Austausch.
Lösungen anregen
Medien sollten nicht nur über Krisen und Probleme berichten, sondern auch über positive Entwicklungen. So wurde zum Beispiel ausführlich über die höchst umstrittene Rückkehr zur Atomkraft debattiert, während das enorme Wachstum der erneuerbaren Energien nur am Rande erwähnt wurde.
Statt in Talkshows Meinungen aufeinanderprallen zu lassen, wäre inspirierender, Gäste einzuladen, die Lösungen gefunden haben. Konstruktive Fragen regen zum Nachdenken an und sind zielführender, als sich nur in einem negativen Kreis zu drehen.
Ergebnis
Medien können die Polarisierung beeinflussen. Sie prägen, wie Menschen Informationen wahrnehmen. Deshalb sollten sie sich auf ihre Funktion als „vierte Gewalt“ besinnen und sich durch eine bewusste Berichterstattung zum Ziel setzen, nicht zu polarisieren, sondern zu informieren.
Mehr Ratgeber, Tipps und Anleitungen:
- Kriterien für den Nachrichtenwert eines Ereignisses
- So kann KI im Journalismus helfen
- Was gehört alles zur Recherche? 3. Teil
- Was gehört alles zur Recherche? 2. Teil
- Was gehört alles zur Recherche? 1. Teil
- Der berufliche Alltag im Journalismus, 3. Teil
- Der berufliche Alltag im Journalismus, 2. Teil
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